Mittwoch, 29. Juni 2016

Leute im Regen



Jeder in Hannoveraner kennt sie, die „Leute im Regen“ in der hannoverschen
Innenstadt. Die zwei überlebensgroßen Bronzeskulpturen stehen seit 1983 in
einiger Entfernung voneinander auf der Kreuzung Große Packhofstr./
Georgstraße. Ein Mann und eine Frau mit leerem Blick und hängenden
Mundwinkeln haben ihre Schirme aufgespannt, von denen im Sommer Wasser
tropft. Er mit Schlips und Anzug, sie im Mantel trägt die Einkaufstasche.
Bei diesen „Regenmännchen“ trifft man sich. Mehr darüber wissen jedoch die
meisten Hannoveraner nicht. Ein Interview mit der in Hannover lebenden
Künstlerin brachte interessante Informationen zutage.
Die Geschäftsleute und Spender der Skulpturen Magis, Gisy, Schmorl und Apel,
alles traditionsreiche hannoversche Unternehmen, die heute von großen Ketten
aufgekauft wurden, wollten ursprünglich mit einem Brunnen die Packhofstraße
mehr an die Georgstraße anbinden. Allein McDonalds war gegen eine Skulptur auf
dieser Kreuzung.

Der damalige Zeitgeist wandte sich gegen Kunst im öffentlichen Raum. Eine
Plastik von Kolberg zog den Volkszorn auf sich und wurde abtransportiert . Die
damalige CDU in Hannover wollte sämtliche Gelder für Kunst im öffentlichen
Raum streichen.

So musste man etwas finden, das nicht den Volkszorn auf sich zog. Magis, der in
München studiert hatte, erinnerte sich an die vielen figürlichen Denkmäler dort,
wie z.B. der Karl-Valentin-Brunnen am Münchner Viktualienmarkt, den die Leute
liebten. So kam der Gedanke auf etwas Ähnliches für Hannover zu finden, das
den Leute so gefiel, als dass man es wegnehmen könnte.
Ulrike Enders, die gerade durch einen Kunstpreis bekannt geworden war, bekam
den Auftrag für die Skulpturen.

Von einem Brunnen musste allerdings abgesehen werden, da unter der Kreuzung
ein Leitungsnetz der Stadtwerke wie ein Schnittmusterbogen liegt, zu dem unter
anderem auch ein Fernwärmeverteilernetz gehört. Die jetzigen Skulpturen sollten
eigentlich eine Brunnenstube erhalten, aber auch dies war nicht möglich, und so
werden sie jetzt mit Frischwasser gespeist. Vielleicht ein Grund dafür, das
mittlerweile statt Regen nur noch ein kleines Rinnsal von den Schirmen fließt.
Die Aufstellung der Skulpturen wurde erst mit der Stadt abgesprochen bis diese
dann aus Versicherungsgründen als Schenkung an die Stadt übergingen.
Ulrike Enders wollte zwischen Schillerdenkmal und Louis Stromeyer Denkmal am
Opernplatz ein Denkmal des normalen Passanten schaffen. Die Figuren sollen
Prototypen darstellen, ohne individuelle Merkmale und Kleidung. Wie viele Leute
gucken die beiden garstig. Der Regen verstärkt den tristen Gesichtsausdruck
noch. Viele denken nur an ihr eigenes Unglück und sind ursprünglich so gestimmt.
Vielleicht denken dann die Passanten beim Blick in die Gesichter der Skulpturen
auch über ihre eigene Visage nach, so Enders.

Es gibt jedoch immer wieder jemanden, der Ähnlichkeiten zu realen Personen
beschwört. Eine Frau hatte sich ans Denkmalamt gewandt, man solle doch
umgehend ein Schild aufstellen, da es sich bei der Frau um ihre Mutter handeln
würde. Sie unterstellte Frau Enders, dass sie ihre Mutter als Modell genommen
hätte.

Ein anderes mal wurde Frau Enders von einem Mann kontaktiert, der meinte, er
wüsste wen sie als Modell genommen hätte. Nämlich einen ehemaligen
Arbeitskollegen, dessen Adresse er nicht mehr hatte und diese nun von Frau
Enders haben wollte.

Nach der Aufstellung der Skulpturen gab es einige Debatten um das Kunstwerk
und Ulrike Enders musste sich verschiedenster Kritik aussetzen. Ein Kunstkritiker
bemängelte, wenn Menschen etwas gefalle, könne es nicht gut sein. Obwohl
Enders den normalen Menschen abbilden wollte, hätte sie Karikaturen geschaffen.
Man war der Ansicht, dass Daumier es besser gemacht hätte, obwohl dieser nur
sehr kleine Plastiken mit karikativen Zügen schuf. Abgesehen davon, dass
Daumier ein Künstler des 20. Jahrhunderts war.

Bis heute halten die Skulpturen jedoch jeglicher Kritik stand und gehören
unverwechselbar in das Stadtbild von Hannover.

Quelle: Persönlich geführtes Interview mit Frau Enders im März 2016
31.03.2016, Wiebke Meier-Vehrenkamp

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